Video mit der Tänzerin Wiebke Brinkmann und dem Bildhauer Arndt von Diepenbroick
Katalog

Ein historisches Spektakel aus der Zeit der Renaissance gab mir den entscheidenden Anstoß, Kleidung zu meinem Beruf zu machen. Ich war beeindruckt von der Schönheit der Kostüme. Die Sinnlichkeit der weichen Linien, die Selbstverständlichkeit der Verzierungen, die nicht aufgesetzt wirkten, sondern zum Alltag zu gehören schienen, ließen mich ahnen, wie reich die Sprache der Kleidung ist und ich spürte erstmals das Bedürfnis, mir diese Sprache zu eigen zu machen.

 


Es folgten Jahre des Suchens und Lernens. Irgendwo zwischen Modeindustrie und Dorfschneiderei, zwischen Bekleidungsdesign und Bühnenkostüm fand ich meine eigene Mitte. Aktuelle Modetrends oder historische und traditionelle Kleiderformen sind mir immer willkommene Anregung, aber weder Maßstab noch Grundlage meiner Entwürfe. Ich suche das Persönliche, das Einzigartige, das Original.

Ich liebe die leisen Töne. Ein Saum ist nicht deshalb ungesäumt, um damit Aufmerksamkeit zu erregen, sondern weil es für etwas steht, ein Gefühl oder eine Fantasie, der ich damit Ausdruck verleihe. Ich folge keinen starren Konzepten, aber es gibt ein paar Lieblingsthemen und Elemente, die immer wieder auftauchen: Gewalt und Zärtlichkeit, Angst und Freiheit, Hoffnung und Illusion. Einsame Prinzessinnen und böse Feen, Elfen, Krieger, Wanderer zwischen den Welten.

Ich liebe die Bewegung, die Veränderlichkeit. Kleider nehmen die Bewegung des Körpers auf, überhöhen, umrahmen sie. Der Stoff fällt zur Seite und betont so die Körperspannung in die entgegengesetzte Richtung, im Sprung verharrt der Rock einen Augenblick in der Luft, bevor er fallend dem Körper folgt. Selbst die Steifheit des Kragens betont die Kraft der Drehung des Kopfes durch seinen Widerstand.

Das Angebot an Materialien ist heute schier unendlich. Aber so sinnlich und empfindlich wie Seide, so schillernd wie Perlmutt, so stark wie Leinen sind eben nur Seide, Perlmutt und Leinen. Farben wähle ich, wie ein Maler auf seiner Palette, aus Seidenresten, deren Farben besonders brillant sind. Der Entwurf beginnt mit einer Grundspannung, zum Beispiel zwischen freiem Fall und festem Halt, zwischen Transparenz und Leuchtkraft,zwischen Zurückhalten und Hervorquellen und wird so in immer kleinere Details weitergeführt, bis der Punkt erreicht ist, wo jeder weitere Zusatz eine Verflachung bedeuten würde. Die Kunst liegt hier also erstmal nicht im Weglassen, sondern im behutsamen Hinzufügen. Erst wenn ein Mensch das Kleid, das ich geschaffen habe, trägt, mit ihm in Dialog tritt und es dadurch auf seine sehr individuelle Weise mit Leben füllt, ist das Ergebnis meiner Arbeit sichtbar. Jede Bewegung schafft, wie durch Zufall, eine neue Form und eben diesen Zufall zu ermöglichen und zu beeinflussen, ist Teil meiner Arbeit.

My Private Collection zeigt Arbeiten, die von mir selbst erzählen. Der Farbverlauf von lebhaftem Rot-Orange hin zu transzendentem Blau-Grau, beschreibt den Ursprung meiner Kraft, Tüll die Verletzlichkeit, Brokat die Fantasie. Perlmuttknöpfe sind wie Irrlichter, Stoffrosen wie süße Komplimente. Zehn Meter Organza quellen wie Schaum aus dem wie Wasser fließenden Seidenjersey. Und immer wieder tauchen die langen Kringel auf: sie wickeln sich schützend um die Arme, lugen aus Falten hervor, scheinen zu wachsen und nach etwas greifen zu wollen. Wie Fühler breiten sie sich aus, wenn die Frau, die das Kleid trägt, sich schwungvoll bewegt. Die scheinbar zufälligen Windungen der Kringel werden mit einer dafür entwickelten Technik vorbestimmt. Ebenso aufwendig ist die Verarbeitung des gesamten Kleides. Handgeschlungene Knopflöcher und bezogene Knöpfe, Kordeln und Häkchen oder hochelastischer Tüll halten die Stoffe, auf Reissverschlüsse habe ich in dieser Kollektion verzichtet. Nicht verzichtet habe ich auf Tragekomfort, denn jedes dieser Kleider findet irgendwann die Frau, die sich in ihm wiederfindet."
Bettina von Bogen